Regenzeit. Da denkst du an Regenwälder, grüne Flächen. Da denkst du an satte Felder, gefüllte, wilde Flüsse, an Asien. Nicht an Australien. Aber Australiens Norden, der nördliche Teil des Roten Kontinents, liegt nahe am Äquator und gehört zu den Tropen. Hier existieren nur zwei Jahreszeiten. Kein Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Nur Trockenzeit und Regenzeit. Dryseason und Wetseason. Jetzt ist hier Wetseason. Regenzeit. Du bist gerade in Darwin, oben im Norden Australiens. Die Stadt gefällt dir. Aber zur Trockenzeit ist es hier schöner, ist einfach mehr los, dann pulsiert das Leben. Es ist warm und trocken. Sonnenschein, jeden Tag bestes Wetter. Wettervorhersagen muss man nicht checken.
Verschiedenste Märkte und Veranstaltungen sieben Tage die Woche, Kino auf Großleinwand unter dem Sternenhimmel. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt ist hier Wetseason – Regenzeit. Es ist unerträglich heiß. Schwül. Die Luft ist gesättigt von Feuchtigkeit. 80-90% Luftfeuchte. Immer. Außer es regnet. Und es regnet jeden Tag. Jeden Tag! Kein Nieselregen. Gewitter! Blitze, Donner, Wolkenberge, aus denen es schüttet. Sintflutartig. Klitschnass ist man in Sekunden. Meist geschieht das am Nachmittag.
Jetzt ist es Nachmittag. Du gehst an der Promenade spazieren. Es ist unerträglich heiß und schwül.
Der Schweiß läuft dir am ganzen Körper runter. In Strömen. Dein Shirt ist schon getränkt. Klitschnass, sogar ohne Regen. Von der Promenade aus kannst du aufs Meer schauen, den Horizont sehen.
Ein Unwetter zieht auf.
Dunkle Wolken türmen sich auf. Faszinierend. Jetzt an den Klippen zu sein statt hier an der Promenade, das wäre es! Du könntest es noch dahin schaffen… …sie sind etwas außerhalb vom Zentrum…
Schnell zum Auto!
Schweißgebadet bist du ja eh schon, also kannst du auch rennen. So schnell du kannst. Am Wagen.
Du fährst los. Fünf Minuten Autofahrt, dann bist du bei den Klippen. Kamera und Drohne sind schon im Rucksack, den greifst du dir, kaum dass du eingeparkt hast. Aussteigen, wieder rennen.
Dieses Mal zu den Klippen.
Hattest du abgeschlossen…? – Ja, hast du. …und wenn nicht…egal! Alle flüchten vor dem Unwetter und du bist fast komplett alleine hier, läufst auf das Unwetter zu. Gleich bist du da.
Noch durch die Büsche durch und dann stehst du auf den Klippen, ein paar Meter über dem Strand.
Von hier aus sieht noch alles viel dramatischer aus, das Gewitter ist fast da.
Die haushohen Wolkenberge sind tief-dunkel-blau, fast schwarz. Sie sind rechts am Horizont.
Der Himmel ist zweigeteilt. Links sind die Wolken weiß und helle Lichtstrahlen brechen durch sie durch. Surreal. Hell gegen Dunkel. Darunter das Meer. Auch es ist dunkelblau. Auf ihm tanzen weiße, schnell aufeinanderfolgende Wellen. Hell gegen Dunkel.
Aus den dunklen Wolkentürmen ergießt sich Regen, wie eine Wand, sintflutartig.
Noch ist sie nicht bei dir angelangt, aber sie nähert sich schnell, kommt rasant und abdingbar auf dich zu. Links Lichtstrahlen, rechts eine Regenwand. Viel Zeit bleibt dir nicht mehr bis sie da ist, du hast nur noch wenige Minuten.
Den Rucksack mit Drohne und Kamera legst du ab, packst die Sachen aus, lässt die Drohne aufsteigen und nimmst einfach auf. Machst ein Video. Von so weit oben sieht es noch dramatischer aus, noch faszinierender, noch atemberaubender. Blitze erhellen die dunklen Wolken am rechten Horizont.
Der Strand unter dir ist mittlerweile komplett leer. Du machst so viele Fotos wie du kannst und genießt die aufgeladene Atmosphäre. Dir bleibt kaum noch Zeit, das Unwetter ist fast da.
Natürlich hast du schon Gewitter erlebt. In Europa, in Asien. Auch in Australien, aber nicht im tropischen Teil. Hier ist es nicht einfach ein Gewitter. Unvergleichbar mit den Gewittern, die du bisher erlebt hast. Das hier ist eine Naturgewalt. Unberechenbar. Stark. Unabdingbar. Und genau deshalb wunderschön.
Innerhalb von Minuten kann hier gleich alles überflutet sein, sobald der Regen vom Meer kommend auf’s Festland trifft. Du siehst die Regenwand auf dich zukommen. Das helle Licht, was bis eben noch auf der linken Seite des Horizontes zu sehen war, wurde von der dunklen anrollenden Wolkenmasse verdrängt. Jetzt musst du schnell weg hier. Der Regen an sich ist dir egal, aber dein Equipment würde die Naturgewalt nicht überleben. Stress.
Du landest die Drohne, packst sie und die Kamera ein, schulterst den Rucksack, rennst los.
Entfernst dich von den Klippen, durch die Büsche, auf den Parkplatz. Reißt die Autotüre auf.
Du hattest nicht abgeschlossen. Schnell rein. Und kaum schlägst du die Türe von innen zu, hat die Regenwand dich erreicht. Der Regen fängt nicht erst langsam und stetig an, er ergießt sich direkt sintflutartig. Aber du sitzt im Trockenen. Alles gut.
Dicke Tropfen trommeln in kurzen Abständen auf der Windschutzscheibe.
Wie eine Salve aus einem Maschinengewehr. Schnell und laut.
Wegfahren kannst du bei dem Unwetter nicht.
Du lehnst dich zurück, schließt die Augen und hörst dem Regen zu. Trommeln auf dem Autodach.
Was für ein Tag um am Leben zu sein.